Donnerstag, 30. Dezember 2010

Interpretation eines Kapitels (Seite 164-166)

Der Roman "Der Vorleser" aus dem Jahre 1994 von Bernhard Schlink handelt von einer Liebesbeziehung zwischen Michael Berg und der um einiges älteren Hanna Schmitz, die nach einiger Zeit abrupt endet. Daraufhin wirkt sich diese Beziehung das ganze Leben auf Michael ein.


Der Roman beginnt rückblickend, als Michael Berg, die Hauptperson, an Gelbsucht erkrankt und dadurch eine Frau kennen lernt die er nach Abklingen der Krankheit wieder besucht. Bei dem Besuch bei der Frau, die sich als Hanna Schmitz herausstellt, wird er von ihr sexuell angezogen, was ihn zur Flucht treibt. Jedoch kehrt er eine Woche später wieder zurück, woraufhin es zum Liebesakt zwischen den beiden kommt. Aus dieser Begegnung entwickelt sich eine Beziehung, und der Liebesakt, das Baden und das Lesen werden zum Ritual. Nach und nach unternehmen sie mehr, sie machen zum Beispiel eine Radtour, bei der jedoch ein heftiger Streit entbrennt und sich erst beruhigt als Michael die gesamte Schuld auf sich nimmt. Auch bei folgenden Konflikten nimmt Michael die gesamte Schuld auf sich. Nach einem unerwarteten Treffen zwischen Michael und Hanna im Schwimmbad, bei dem Michael Hanna nicht zu kennen scheint, verschwindet Hanna plötzlich.
Aus dem 15-jährigen Michael wird ein Jurastudent. In einem NS-Aufarbeitungsprozess trifft Michael Hanna wieder, muss aber mitansehen wie es immer schlechter um Hannas Verteidigung steht, bis ihm schließlich klar wird, dass Hanna Analphabetin ist. Um Hanna zu verstehen, und zu entscheiden ob er sein Wissen dem Richter mitteilen soll, besucht er ein KZ. Letztendlich besucht er den Richter, offenbart ihm aber nicht sein Wissen. Als Resultat dessen wird Hanna zu einer Lebenslänglichen Haft verurteilt.
Während Michaels Skiferien stumpft er erst extrem gegen Gefühle ab und mündet in einem Gefühlsausbruch der in ins Krankenhaus bringt. Gertrud kümmert sich um ihn.
Die Textstelle erzählt von Michaels Leben mit Gertrud, wie sie heiraten und das Kind, Julia, bekommen. Auch erzählt er von ihrer Trennung als Julia fünf ist, und wie sie darunter leidet. Desweiteren beschreibt er seine misslungenen Beziehungen nach der Scheidung.


In der Textstelle steht die Beziehung von Michaels zu seiner Tochter Julia im Vordergrund. Dies zeigt die Anordnung der Beziehungen. Die Beziehungen von Michael zu Gertrud und zu seinen darauf folgenden Frauen stehen jeweils am Rande, während die Szene, in der Julia ihrem Vater hinterschaut, im Vordergrund steht. Neben dieser Anordnung läuft das ganze Kapitelauf den letzten Satz hinaus("Weil die Wahrheit dessen, was man redet, das ist, was man tut, kann man das Reden auch lassen" S.166 Z.28/29).So ist dies sein Ergebnis aus seinem Versuch, sich zu öffnen. Dies bedeutet wiederum, dass er einsieht, dass er nicht reden muss, sondern lediglich das wichtigste ist, was er tut. Daraufhin wird ihnen klar, dass er auf Hanna bezogen nichts getan hat. So verbleibt er im Stillen.

In dem Kapitel geht es unter anderem auch um diese Beziehung zwischen Michael und seiner Tochter aber auch zwischen ihm und seienr Frau und den ihr nachfolgenden Frauen.
Jedoch sagt diese Textstelle auch einiges über ihn selber aus. Nach außen scheint Michael ein normaler mittelständischer Bürger zu sein. Eine "[Heirat] als Referendar" (S. 164 Z. 1), eine romantische Kennenlerngeschichte und die gesellschaftlich als verpflichtend angesehene "Heirat als [...] ein Kind erwartet [wird]" (S. 164 Z.7), verdeutlicht diesen Eindruck. Jedoch ist sein Leben trotz eines Jura-Studiums nicht das einfachste.
Trotz zweier Juristen wohnt er mit seiner Familie in einer Dreizimmerwohnung. Wie bereits gesagt, scheint er nach außen trotz einiger Widerständen recht gefestig und normal zu sein. Doch seine Gefühlswelt ist dazu das genaue Gegenteil. Die Gefühle für Gertrud werden von einem Gefühl der Falschheit überschattet. So zerstören die noch existierenden Gefühle und Erinnerungen an Hanna, wenn auch ungewollt, die Ehe von Michael. Dass dies nicht gewollt ist, verdeutlicht auch der Parallelismus auf Seite 165 Zeile 3/4 ("ich dachte, es würde sich verlieren. Ich hoffte, es würde sich verlieren"). Auch scheint es sehr deutlich, dass Michael, trotz seiner familiären Problemen und der gefühlsmäßigen Beeinträchtigung durch die Gefühle für Hanna, eine starke emotionale Bindung zu seiner Tochter aufbauen kann ("wenn (...) ich unter ihrem traurigen Blick ins Auto stieg, brach es mir das Herz" S. 165 Z. 21/22). Dies zeigt die durchaus wichtige Rolle von seiner Tochter. Verdeutlicht wird dieser Umstand wenn man alle zwischenmenschlichen Beziehungen von Michael miteinander vergleicht. Die einzige Beziehung, abgesehen von der zu Hanna, bei der Hanna nicht dazwischen steht, ist die zu seiner Tochter.
So kann man abschließend zu den Beziehungen von Michael zu anderen Frauen als Hanna sagen, dass keine von ihnen wirklich etwas Besonderes war, und einzig und allein von Michael angefangen wurden um Hanna zu vergessen. Dass ihm dies nicht gelingt, zeigt der Umstand, dass sie alle scheitern. Jedoch heben diese Beziehungen eine einzige von Michael hervor: die zu seiner Tochter. Sie ist die einzige Person nach Hanna, zu der Michael eine richtige gefühlsvolle Beziehung aufbauen kann.

Die oben bereits genannte Dreizimmerwohnung ist nun ein weiterer interessanter Punkt aus dem man schließen kann. So kann diese verhältnismäßig kleine Wohnung für einer Familie die Enge symbolisieren die Michael in seinem Familienleben verspürte.
Im Gegensatz dazu steht das Auto auf Seite 165 Z. 21/22("und ich (...) ins Auto stieg"), das auf zwei, sich nicht ausschließende, Wege interpretiert werden kann. Das Auto kann nach der Enge der Dreizimmerwohnung die Befreiung und Freiheit von Michael symbolisieren, die er durch die Scheidung erlangt hat. Eine weitere Möglichkeit ist den gesamten Satz zu betrachten ([als Julia] aus dem Fenster sah und ich unter ihrem traurigen Blick ins Auto stieg" S165 Z.21/22). Betrachtet man den Satz auf diese Weise, so ist das Auto auch ein Symbol für das Entfernen von seiner geliebten Tochter, was in die Entscheidung von ihm, Julia ins Internat zu schicken, mündet.
Zusammengefasst bekräftigen die Räume den Eindruck, den man bereits von Michael hat. Eine starke Emotionale Verbindung zu seiner Tochter, trotz der zerrütteten Familienverhältnisse, die auch aufgrund von Hanna entstanden sind. Bei den Räumen werden die späteren Beziehungen eher außen vor gelassen. Dies wird bei der Erzähltechnik nachgeholt.

Die Textstelle ist mit langen Sätzen geschrieben. Dies vermittelt dem Leser einen sachlichen, neutralen Eindruck, was auf Michael abfärbt. Er erscheint durch diese Sachlichkeit sehr neutral zu sein. Hier erscheint wieder das Gefühl der Teilnahmslosigkeit,vor allem im Bezug auf seine späteren Beziehungen, das bereits oben genannt wurde. Neben den langen Sätzen wird dieses Gefühl auch von der Art, mit der Michael erzählt, hervorgehoben. Er schildern keinen seiner Gedankengänge, stellt lediglich die Ergebnisse dieser vermutbaren Gedankengänge als Fakt und Wahrheit dahin („Gertrud war gescheit, tüchtig und loyal, und wenn es unser Leben gewesen wäre, einen Bauernhof zu führen […] wäre es erfüllt und glücklich gewesen“ S.164 Z.11-15). Die einzige gedankliche Frage ist bereits so formuliert, dass der Leser bereits in die von Michael gewollte Richtung gedrängt wird („Wer will, dachte ich, von den früheren Beziehungen des anderen hören, wenn er nicht deren Erfüllung ist?“ S. 164 Z. 9-11).

Die Erzählzeit und die Erzählperspektive verdeutlicht wiederum nicht mehr die Beziehungen zu Frauen, sondern die Vater-Tochter Beziehung zwischen Michael und Julia. Wie bereits oben durch die sachliche, neutrale und allwissende Art angedeutet, ist die Textstelle aus der auktorialen Ich-Perspektive geschrieben. Einzig und allein auf Seite 165 Z.3ff („Ich dachte..., Ich hoffe..., ich wollte...“) und Zeile 23 erscheint es nicht mehr neutral, sondern personal, was sich jedoch in Zeile 25 schnell wieder ändert, da er dann teilnahmslos, gefühlslos und ohne ein Wort der Verteidigung seine Schuld zugibt („wir haben sie um ihr Recht betrogen, indem wir uns haben scheiden lassen“ S. 165 Z.25).
Neben diesen Besonderheiten der Erzählperspektive ist der Text größtenteils zeitraffend geschrieben, was wiederum die Eindrücke der Erzählperspektive und des Erzählstils, nämlich der Teilnahmslosigkeit, bekräftigt.


Die Intension, die der Autor Schlink damit verfolgen wollte, könnte die verheerend Wirkung moralische Abstumpfung sein, die durch Beziehungen in zu jungen Jahren entstehen können und die Auswirkungen dieser Beziehungen auf das spätere Leben.
Unter dieser moralischen Abstumpfung kann man zum Beispiel, wie bei Michael, die Unfähigkeit längerfristige Beziehungen zu führen, sehen.
Explizit in dieser Textstelle könnte er auch ein anderes Ziel verfolgt haben. Da die Tochter von Michael Berg im Vordergrund steht, könnte er auch auf die Bedeutung des Nachwuchses hinweisen wollen, mit dem Ziel die besondere Stellung dieses Nachwuchses herausarbeiten, und darauf hinzuweisen, dass trotz eigener Probleme das Kind nie darunter leiden darf.
Die Bewertung dieser Buches ist zweigeteilt. So besitzt die Geschichte einige Überraschungen, wie zum Beispiel das Verschwinden Hannas, aber lässt sich der Strang der Geschichte manchmal sehr schwer verfolgen. Der Grund hierfür liegt bei den Sprüngen in die Gegenwart oder andere Zeiten, die es dem Leser sehr schwer machen der Geschichte ohne Probleme zu folgen. Dies bedeutet, dass erst nach dem zweiten Lesen ein einwandfreies Verständnis für das Buch vorhanden ist. Jedoch ist alles in allem das Buch als Pflichtlektüre ausreichend, als Zeitvertreib wegen dem mehrmaligen Lesen aber ungeignet.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen